Die lügen doch eh alle!
Wie oft ist es dir schon passiert, dass du einen Menschen kennenlernst, den du wirklich interessant findest? Ihr unterhaltet euch viel miteinander, entdeckt zahlreiche Gemeinsamkeiten und entscheidet, künftig als Paar durchs Leben zu gehen. Ihr lernt euch weiter, besser kennen und irgendwann kommt der Punkt, an dem du dich fragst „hä? das wurde mir aber am Anfang doch ganz anders erzählt?!“. Die ersten Lügen, oder kleine Schummeleien, werden entdeckt.
Dabei muss es nicht einmal um essentielle Dinge wie einen (nicht vorhandenen) Kinderwunsch oder dramatische Wendungen im Lebenslauf gehen. Häufig sind es sogar die kleinen Dinge, die uns am Anfang stutzig machen.
„Ja, ich geh auch total gerne auf Konzerte!“ – und dann wird jede Anfrage nach einem gemeinsamen Konzert abgelehnt, weil derartige Veranstaltungen zu laut seien, die Menschenmassen überfordern oder man nicht so viel Geld nur für einen Abend ausgeben möchte.
„Ja, ich bekomm den Kopf auch am besten beim Joggen frei!“ – und dann fällt in einem anderen Gespräch, Monate später, die Aussage, dass man Ballsportarten schon klasse findet, aber das zugehörige Lauftraining meist schwänze, Laufen sowieso voll anstrengend sei und man doch eher der Gym-Typ in der Gewichteecke sei.
Bei diesen vermeintlich kleinen Lügen werden wir stutzig, denken aber vielleicht noch, dass wir uns wahrscheinlich am Anfang nur verhört oder es missverstanden haben. Doch mit der Zeit, wenn solche Diskrepanzen immer häufiger vorkommen, fängt das Bauchgefühl an, sich zu melden. Aus einem stutzig sein wird ein Hinterfragen, aus dem Hinterfragen wird eine Vertrauensfrage.
Doch warum ist das so? Warum lügen wir, wenn wir jemanden kennenlernen, obwohl wir denjenigen gerne (dauerhaft) in unserem Leben hätten?
Verschiedene Gründe bringen uns dazu zu lügen
Wenn Menschen zu Beginn einer Beziehung – und häufig auch (weit) über die Kennenlernphase hinaus – lügen, tun sie das aus verschiedenen Gründen. Vielleicht ist es ein konkreter, bei den meisten aber dürfte es sich aus einem Mix aus den folgenden Optionen handeln:
Lügen, um zu beeindrucken
Einer der häufigsten Gründe für das Lügen ist, dass wir uns von unserer besten Seite zeigen wollen und mit geschönten oder angepassten Aussagen versuchen, den anderen zu beeindrucken. Mit zustimmenden Aussagen, dass man gewisse Aktivitäten auch schätze oder bestimmte Vorstellungen vom Leben gemeinsam habe, schafft man Vertrauen und damit eine Nähe. Die Partner fühlen sich verstanden, zueinander hingezogen und bauen eine Bindung auf. Im ersten Moment haben diese Lügen eine positive Wirkung.
Dass diese Bindung aber auf wackligen Beinen steht, wenn die Inhalte der Zustimmungen nicht der Wahrheit entsprechen, wird in diesem Moment ausgeblendet. Später, wenn die Lügen vielleicht mal ans Licht kommen, ist ja schon die große Liebe da. Dann wird das schon nicht mehr so schlimm sein.
Lügen als Selbstschutz
Manchmal aber möchten Menschen mit dem Lügen auch ihre Schwächen oder Unsicherheiten verbergen, besonders wenn sie jemanden neu kennenlernen. Sie glauben, dass kleine Unwahrheiten sie in den Augen des anderen besser erscheinen lassen.
Ähnlich wie beim Lügen um zu beeindrucken wird auch bei diesem Hintergrund durch das erzählen einer Unwahrheit eine Verbindung aufgebaut. Vertrauen geschaffen. Zumindest suggeriert die Lüge das dem Gegenüber, der zu dem Zeitpunkt noch von einer Wahrheit ausgeht, das erst einmal.
Dass der Selbstschutz in Gefahr gerät, wenn die Lügen auffliegen, darüber wird in den wenigsten Fällen schon während der Lüge (oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt) nachgedacht. Es wird erst gehandelt, wenn die Lüge zweifelsfrei aufgedeckt wurde – wenn überhaupt. Manchmal wird dann mit einer weiteren Lüge versucht, die erste zu überdecken oder zu begründen. Das daraus möglicherweise entstehende Chaos findet keine Beachtung.
Angst vor Ablehnung
Mit dem Selbstschutz einher geht häufig eine Angst vor Ablehnung. Viele Menschen haben Angst, abgelehnt zu werden, wenn sie ihre „wahre“ Seite zeigen. Vor allem, wenn sie selbst das Gegenüber zwar toll finden, aber noch nicht ausreichend über diese Person wissen, um diese einschätzen zu können. Deshalb neigen sie dazu, Dinge zu übertreiben oder zu verschönern, um sicherzustellen, dass auch sie vom anderen gemocht werden.
Auch ist es möglich, dass jemand in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht hat, dass mit der einen Sichtweise, der anderen Geschichte, einer erzählten Fantasie oder einer erlebten Situation bei einem Gegenüber schlecht dastanden oder sogar aufgrund dessen gemobbt worden sind. Diese Erfahrung soll sich nach Möglichkeit nicht wiederholen, so dass nun bei dem Thema die Entscheidung für das Lügen fällt.
Lügen aufgrund von Erwartungen und Idealbildern
Beim Kennenlernen und in den ersten Phasen einer Beziehung gibt es oft eine Vorstellung davon, was die perfekte Partnerschaft ausmacht. Diese meist eher unrealistischen Erwartungen können dazu führen, dass Menschen in ihren Erzählungen oder sogar Handlungsweisen Aspekte ihres Lebens oder Charakters verändern oder verschönern, um diesen Idealen zu entsprechen.
Dass diese nicht den Tatsachen entsprechen, fällt häufig erst nach einiger Zeit auf, wenn sich die Person entweder sicher fühlt oder aber diesen Schein nicht länger aufrechterhalten kann, weil es zu anstrengend wird. Manchmal bröckelt so eine Fassade auch Schritt für Schritt und es wird nicht direkt eine vorher getragene Maske abgenommen.
Mangel an Vertrauen
Wir alle haben in unserem bisherigen Erfahrungen gesammelt. Gute wie schlechte. Und diese prägen uns, auch, wenn wir das nicht immer bewusst wahrnehmen.
In der Anfangsphase einer Beziehung nun kennt man den anderen noch nicht so gut und vertraut ihm möglicherweise noch nicht vollständig. Deshalb könnten manche Menschen Informationen zurückhalten oder lügen, um sich vor möglichen negativen Reaktionen zu schützen.
Während ein zurückhalten, ein ehrliches „du, da möchte ich im Moment nichts zu sagen, hab bitte Verständnis dafür – ich werde es dir zu gegebener Zeit erzählen“, zu einer Bindung und einem Vertrauensaufbau innerhalb der wachsenden Beziehung beitragen kann, wird die Lüge eher das Gegenteil bewirken.
Lügen wegen fehlender Selbstreflexion
Einige Menschen sind sich vielleicht gar nicht bewusst, dass sie lügen oder die Wahrheit verzerren. Sie haben möglicherweise das Gefühl, dass diese „kleinen Lügen“ keinen Schaden anrichten oder dass sie einfach dazugehören, um eine „gute“ Partnerschaft zu beginnen. Vielleicht merken sie es selbst einmal, dass sie nicht die Wahrheit sagen, weil sie selbst tatsächlich gerne so wären und sich in ihrer Fantasie eine entsprechende Vergangenheit oder sogar einen „neuen Charakter“ erschaffen. Selbst sind sie überzeugt davon, dass es so ist, auch wenn ihre Handlungsweise ganz anderes zeigt.
Aus welchem Grund auch immer gelogen wird, die Wahrheit kommt meist an Licht. Oft aber erst, wenn die Beziehung wächst und das Vertrauen stärker wird. Am Anfang kann es daher für Menschen ganz normal sein, dass es ein gewisses Maß an Anpassung und sogar Unwahrheiten gibt. Ob man es dann aber von der Kennenlernphase in eine stabile, vertrauensbasierte Beziehung schafft, ist ein bisschen von den Gründen, viel aber von dem Willen der beiden Partner abhängig.